Geheimnis bleibt dem tiefsten Geist,
Was Dasein heißt.
Gott hat das Rätsel ausgesprochen,
Sich selbst darüber den Kopf zerbrochen,
Bis er in Scherben zerschellt;
Die nennt man nun: die Welt.

Paul von Heyse, (1830 - 1914) 

Stille Erwartung 

Ich bin ein Rätsel selber mir;
Doch einsam wandelnd, folg‘ ich dir,
Du herrlich ruhende Natur!
Auch du bist wohl dir rätselhaft,
Doch, wie dies keine Sorge schafft
Dir, deiner Waldung, deiner Flur,
So, Freundin, wart‘ ich ab, wie du
Die Lösungszeit in stiller Ruh‘!

Karl Mayer  (1753–1830)

Rätsel

Es hat ein Röslein
Im Garten geblüht,
In lichten Farben
Hat's herrlich geglüht.

Doch eines Tages,
Da war es geknickt,
Hinab zur Erde,
Zum Staube gedrückt.

Wer ist die Blume,
Gebrochen im Wahn?
Und wer der Gärtner,
Der es getan?

Paul Keller, (1873 – 1932)

Rätsel

Ich habe Flügel, rate Kind,
Doch flieg ich nur im Kreise,
Und singen tu ich, wenn der Wind
Mir vorpfeift, laut und leise;
Was ihr den Feldern abgewinnt,
Kau ich auf meine Weise,
Doch – was mir durch die Kehle rinnt,
Das mundet euch als Speise.

Paula Dehmel, (1862 - 1918)Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur ein Mänt'lein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem purpurroten Mäntelein?

Das Männlein steht im Walde auf einem Bein
Und hat auf seinem Haupte schwarz Käpplein klein,
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem kleinen, schwarzen Käppelein ?

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, (1798 – 1874)

Ach, wer versteht sein eigen Herz!
Ein Rätsel ist dir's, in die Brust geschaffen;
Heute schwer wie ein Berg von Erz,
Will es dich in die Tiefe raffen;
Morgen aller Schwere entbunden,
Jauchzend lodert es wolkenwärts,
Und dann in gleichgemessenen Stunden
Gelassen trägt es Lust und Schmerz.
Ach, wer beherrscht sein eigen Herz!

Paul von Heyse, (1830 – 1914)

Stehe still!

Sausendes, brausendes Rad der Zeit,
Messer du der Ewigkeit;
Leuchtende Sphären im weiten All,
Die ihr umringt den Weltenball;
Urewige Schöpfung, halte doch ein,
Genug des Werdens, laß mich sein!

Halte an dich, zeugende Kraft,
Urgedanke, der ewig schafft!
Hemmet den Atem, stillet den Drang,
Schweiget nur eine Sekunde lang!
Schwellende Pulse, fesselt den Schlag;
Ende, des Wollens ewiger Tag!

Daß in selig süßem Vergessen
Ich mög' alle Wonnen ermessen!
Wenn Aug' in Auge wonnig trinken,
Seele ganz in Seele versinken;
Wesen in Wesen sich wiederfindet,
Und alles Hoffens Ende sich kündet;
Die Lippe verstummt in staunendem Schweigen,
Keinen Wunsch mehr will das Innre zeugen:
Erkennt der Mensch des Ewigen Spur,
Und löst dein Rätsel, heil'ge Natur!

Mathilde Wesendonck, 1828-1902

Die Sphinx

Die alten Egypter verehrten die Sphinx,

Die Sphinx – das Rätsel des Lebens –

Das Rätsel des Menschen – das Rätsel der Welt –

Die Lösung sucht man vergebens.

Der Grieche, graziöser die Psyche er schuf,

Die Psyche – das Sinnbild der Seele –

In Marmor grub er die Schönheit hinein,

Daß Jeder sie sehe und wähle. –

Doch unsre Zeit dem äußern Schein –

Dem Schatten der Wahrheit ergeben –

Verkündet und lehrt das moralische Nichts,

Kein Sinnbild wird sie erheben! –

Friederike Kempner   1828-1904

Schlüssel liegen im Buche zerstreut

Schlüssel liegen im Buche zerstreut, das Rätsel zu lösen;
Denn der prophetische Geist ruft den Verständigen an.
Jene nenn' ich die Klügsten, die leicht sich vom Tage belehren
Lassen; es bringt wohl der Tag Rätsel und Lösung zugleich.

J.W.Goethe 1766-1832

Ach, wer versteht sein eigen Herz!
Ein Rätsel ist dir's, in die Brust geschaffen;
Heute schwer wie ein Berg von Erz,
Will es dich in die Tiefe raffen;
Morgen aller Schwere entbunden,
Jauchzend lodert es wolkenwärts,
Und dann in gleichgemessenen Stunden
Gelassen trägt es Lust und Schmerz.
Ach, wer beherrscht sein eigen Herz! 

Paul von Heyse  1830-1814

Pfauenfeder

Pfauenfeder:
in deiner Feinheit sondergleichen,
wie liebte ich dich schon als Kind.
Ich hielt dich für ein Liebeszeichen,
das sich an silberstillen Teichen
in kühler Nacht die Elfen reichen,
wenn alle Kinder schlafen sind.

Und weil Großmütterchen, das gute,
mir oft von Wünschegerten las,
so träumte ich, du Zartgemute,
in deinen feinen Fasern flute
die kluge Kraft der Rätselrate -
und suchte dich im Sommergras.

Rainer Maria Rilke  1875-1926


 



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