Wohlstand

Einmal mußt' in unser Häuslein
Eingekehrt sein doch das Glück:
Denn ich sah im Rauchfang hängen
Lang davon ein großes Stück.

Eines schönen Samstags brachte
Mütterlein vom Markt nach Haus
Etwas, das, bei Licht besehen,
Sah nach einem Schweinlein aus.

Das war nicht nach meinem Sinne.
War sonst allen Tierlein hold;
Aber dort frug ich die Mutter,
Wo solch Vieh denn schlafen sollt'.

"Unter deinem Bett!" rief lachend
Mütterlein mir Aermstem zu.
Unzufrieden mit dem Zuwachs
Ging ich jenen Tag zur Ruh'.

Feindschaft schwur ich nun dem Schweinchen,
Bitt're Feindschaft bis aufs Blut.
Erst als man es schlachten wollte,
Ward dem Tier ich wieder gut.

Und das ging nicht allzulange:
Als es nicht mehr wachsen wollt',
Wurde kurzerhand beschlossen,
Daß das Schweinlein sterben sollt'.

Ach, ich will hier nichts erzählen
Von dem Schlachten. Doch ist klar,
Daß an jenem Kirchweihsamstag
Ich nicht in der Schule war.

Und nun fiel auf unser Häuslein
Gottes Segen wie ein Guß:
Denn in Keller und in Küche
Herrschte jetzt der Überfluß.

Erst die Blut- und Leberwürstchen,
Wieviel Pärlein waren's doch?
Dann das Schweinlein in der Beize,
Wie das übermütig roch!

Doch des Reichtums und Besitzes
Ganzer Wahn mich erst umfing,
Als das ganze kleine Schweinlein
Überm Herd im Rauchfang hing.

Schinken, Rippchen, vorn und hinten,
Zwischen drin zwei Seiten Speck:
Jetzt ein Blick in unsern Rauchfang,
Und ich Knirps war völlig weg!

Doch kein Reichtum dauert ewig,
Und am schnellsten soll ein Schwein
Von drei hungerigen Buben
Restlos aufgegessen sein.

Doch bei uns war's auch kein Wunder;
Denn das Schweinlein war nicht groß:
Wenn ich recht mich noch erinnere,
Vierzig Pfündlein wog es bloß.

Und drei rote Kinderschnäbel,
Allzeit offen, brachten's mit,
Daß die Mutter alle Tage
Was davon herunterschnitt.

Letztes Stücklein dann vom Schweinchen,
Hart wie Leder, schwarz vom Rauch,
Mußte noch bis Fastnacht reichen:
Mußte, und so reicht' es auch.

Heinrich Gassert 1857-1928

Genau besehn

 Wenn man das zierlichste Näschen
Von seiner liebsten Braut
Durch ein Vergrößerungsgläschen
Näher beschaut,
Dann zeigen sich haarige Berge,
Dass einem graut.

Ringelnatz 1883-1934

Eine Oma ging spazieren
an der Hand ein kleines Kind,
und das Kind, das mußt sie führen,
denn die arme, alte Dame, die war blind!!

 

War ein Graben in der Nähe,
war ein Loch in der Chaussee,
Oma, hops mal, sprach die Kleine
und die alte Dame sprang in die Höh'.

 

Das Kind war voll Entzücken,
als es die Oma hopsen sah,
Oma hops mal, sprach es öfter,
wenn auch kein Graben in der Nähe war!

 

Kam ein Schutzmann seines Weges,
war des Kindes sehr empört:
Hörst Du auch, Du kleine Range,
Dein Benehmen ist ja wirklich unerhört!

Herr Schutzmann halten Sie die Klappe,
Herr Schutzmann seien Sie still,
denn die Oma die ist meine,
die kann ich hopsen lassen, wo und wann ich will!!

Volksgut

Das Herz sitzt über dem Popo

  Das Herz sitzt über dem Popo. -
Das Hirn überragt beides.
Leider! Denn daraus entspringen so
Viele Quellen des Leidens.
    
Doch ginge uns plötzlich das Hirn ins Gesäß
Und die Afterpracht in die Köpfe,
Wir wären noch minder als hohles Gefäß,
Nur gestürzte, unfertige Töpfe.
    
Herz, Arsch und Hirn,  -  Ich ziehe retour
Meine kleinliche Überlegung.  -
Denn dieses ganze Gedicht kommt nur
Aus einer enttäuschten Erregung.

Ringelnatz 1883-1934

Der Esel

Es stand vor eines Hauses Tor
Ein Esel mit gespitztem Ohr,
Der käute sich sein Bündel Heu
Gedankenvoll und still entzwei.

Nun kommen da und bleiben stehn
Der naseweisen Buben zween,
Die auch sogleich, indem sie lachen,
Verhasste Redensarten machen,
Womit man denn bezwecken wollte,
Dass sich der Esel ärgern sollte.

Doch dieser hocherfahrne Greis
Beschrieb nur einen halben Kreis,
Verhielt sich stumm und zeigte itzt
Die Seite, wo der Wedel sitzt.

Busch Wilhelm 1832-1908

Die Affen

Der Bauer sprach zu seinem Jungen:
Heut in der Stadt da wirst du gaffen.
Wir fahren hin und seh'n die Affen.
Es ist gelungen
Und um sich schief zu lachen,
Was die für Streiche machen
Und für Gesichter
Wie rechte Bösewichter.
Sie krauen sich,
Sie zausen sich,
Sie hauen sich,
Sie lausen sich,
Beschnuppern dies, beknuppern das,
Und keiner gönnt dem andern was,
Und essen tun sie mit der Hand,
Und alles tun sie mit Verstand,
Und jeder stiehlt als wie ein Rabe.
Paß auf, das siehst du heute.
O Vater, rief der Knabe,
Sind Affen denn auch Leute?
Der Vater sprach: Nun ja,
Nicht ganz, doch so beinah.

Wilhelm Buch 1832-1908)

Lieder eines Lumpen

Im Karneval, da hab' ich mich
Recht wohlfeil amüsiert,
Denn von Natur war ich ja schon
Fürtrefflich kostümiert.

Bei Maskeraden konnt' ich so
Passieren frank und frei;
Man meinte am Entree, dass ich
Charaktermaske sei.

Recht unverschämt war ich dazu
Noch gegen jedermann
Und hab' aus manchem fremden Glas
Manch tiefen Zug getan.

Darüber freuten sich die Leut
Und haben recht gelacht,
Dass ich den echten Lumpen so
Natürlich nachgemacht.

Nur einem groben Kupferschmied,
Dem macht' es kein Pläsier,
Dass ich aus seinem Glase trank -
Er warf mich vor die Tür.

Wilhelm Busch 1883-1934

Sexuelle Aufklärung

Der alte Storch wird nun begraben.
Ihr Kinder lernt im Unterricht,
Warum wir dies und jenes haben,
Und es verbreitet sich das Licht.

Zu meiner Zeit, du große Güte!
Da herrschte tiefe Geistesnacht.
Man ahnte manches im Gemüte
Und hat sich selber was gedacht.

Mich lehrte dieses kein Professer;
Nur eine gute, dicke Magd
Nahm meine Unschuld unters Messer
Und machte auf dieselbe Jagd.

Ihr Unterricht war nicht ästhetisch,
Im Gegenteil, sehr weit entfernt.
Und doch, wenn auch nicht theoretisch,
Ich hab' es ziemlich gut gelernt.

(Ludwig Thoma 1867-1921)

 Mir träumte wieder der alte Traum

Mir träumte wieder der alte Traum:
Es war eine Nacht im Maie,
Wir sassen unter dem Lindenbaum,
Und schwuren uns ewige Treue.

Das war ein Schwören und Schwören aufs neu,
Ein Kichern, ein Kosen, ein Küssen;
Dass ich gedenk des Schwures sei,
Hast du in die Hand mich gebissen.

O Liebchen mit den Äuglein klar!
O Liebchen schön und bissig!
Das Schwören in der Ordnung war,
Das Beissen war überflüssig.

(Heinrich Heine 1797-1856)

 Heimatlose

Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich, regte sich,
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich dann heran,
Und fragte mich:
"Wo ist das Meer?"

Ringelnatz 1883-1934


 

Gesellschaftsregeln

1. Bist du um sieben Uhr geladen,
So geh nicht etwa erst um neun.
Sieh: Pünktlichkeit kann keinem schaden,
Und’s erste Stück kann’s beste sein!

2. Gut ist’s, der Hausfrau was zu schenken:
Ein Strauß, ein kleiner, freut sie sehr.
Ein großer – mußt du stets bedenken –
Geniert sie leicht und kostet mehr!

3. Sei mäßig, aber nie dich ziere!
Solch Zögern schafft der Hausfrau Pein.
Beim ersten Gang nimm gleich für viere:
Bedenk, es kann der letzte sein!

4. Der Weine Reinheit anzufechten
Erlaub dir nicht in fremdem Haus:
Lob alle und zumal die schlechten
Und trink die guten Sorten aus.

5. Die Damen gut zu unterhalten
Sei dein beständiges Bemühn:
Gelingt dir’s nicht mit einer alten,
Ist eine junge vorzuziehn.

6. Auch Gutes läßt sich übertreiben.
Wenn’s auch den Wirt freut, merke ja:
Such niemals allzulang zu bleiben –
Besonders, wenn kein Wein mehr da!

7. Vergiß das Trinken nicht beim Essen –
Es reut dich andern Tags, mein Sohn,
Hast du das Trinkgeld mal vergessen,
Der Schmerz erträgt sich leichter schon.

8. Fühlst du vorm Redenhalten Schrecken –
Kling dennoch, rat ich dir, ans Glas:
Im schlimmsten Falle bleibst du stecken –
Das macht oft mehr als Reden Spaß.

9. Oft tritt ne Stille ein, ne große,
Das sei zu ändern klug bestrebt:
Schnell ein Kompott auf Nachbars Hose –
Du sollst mal sehn, wie das belebt!

10. Bei Tisch den Hausherrn anzupumpen,
Dies, lieber Sohn, ist niemals »fair«.
Ein feiner Mann läßt sich nicht lumpen,
Ißt ruhig erst und pumpt nachher.


11. Wärst du auch mitten im Genießen
Und siehst: der Kaffee wird gebracht,
Ist das ein Zeichen, man will schließen –
Dann schnell dich über’n Sekt gemacht!


12. Beim Sekt begnüge dich zu naschen,
Willst du den Hausherrn recht erfreun.
Du trinkst schon viel, trinkst du zwei Flaschen;
Wer mehr trinkt – nehme Natron ein.

13. Den Nächsten – auch bei Tafel – lieben,
Ist, wie wir wissen, Christenpflicht.
Die Pflicht kann höchstens übertrieben –
Erlassen werden kann sie nicht.

14. Ward dir zur Nachbarin ne Tante,
So lausch voll Ehrfurcht, wenn sie spricht.
Wie anders bei nem Leutenante –
Da braucht es der Empfindung nicht.

15. Damit sie ihre Gunst dir schenken,
Sprich mit den Nachbarinnen viel.
Wer lieber schweigt, der mag bedenken:
Auch Händedrücken bringt ans Ziel.

16. Ist leer dein Glas, dann ohn Bedenken
Schenk wieder ein dir auf der Stell.
Scheint dir’s nicht fein, schnell einzuschenken –
Schenk langsam ein und trinke schnell.

17. Schwer ist’s, bei Tafel gut zu plaudern,
Gut zuzuhören, ist’s noch mehr.
Wirf dich aufs letztre ohne Zaudern –
Es fördert auch beim Essen sehr.

18. Blieb nur ein Rest von einer Speise
Und schmeckte sie dir noch so gut –
So bitt nicht drum törichterweise:
Gleich nehmen – eh’s ein andrer tut.

19. Will sich dein Nachbar mit dir streiten
Bei Tisch – so setz’ dich nicht zur Wehr
Verdopple deine Höflichkeit:
’s ist christlicher und ärgert mehr.

20. Kannst du als Redner nicht genügen,
Sprich dennoch, rat ich dir. Probier’s!
Kommst du zurecht – hast du’s Vergnügen.
Und bleibst du stecken – haben wir’s.

21. Verbindlich zeig beim Präsentieren
Dem Nachbar stets das beste Stück:
Selbst höflich, wird er sich genieren,
Und du bekommst das Stück zurück!

22. Ein Unfall darf dich nicht erbosen –
Kaltblütigkeit ist Goldes wert.
Hast du den Rotwein umgestoßen:
Gleich Salz darauf! – (Und umgekehrt!)

23. Reichst du die Sauce, dann vor allen
Acht auf der Damen Kleider sehr.
Sieh: läßt du mal die Schüssel fallen –
Gibt es oft keine Sauce mehr.

24. Rauchst du, laß nicht an jedem Orte
Der Lust am Rauchen freien Lauf.
Steht wo z. B. eine Torte,
Empfiehlt sich’s: du ißt die erst auf.

Georg Bötticher  1849-1918

Die beiden Vulkane

Im weißen Haar und Bart
Hab' ich die Glut bewahrt:
Wie Gott der Herr erschuf
In Welschland den Vesuv:
Im Herzen Brand, am Haupte Schnee,
Zuweilen thut's den beiden weh:
Der eine bricht in Lava aus,
Beim andern werden Verse draus.

Felix Dahn, (1834 - 1912)

Recept wider böse Weiber

Ein armer Ehegatte,
Der ohne seine Schuld
Die Höll' auf Erden hatte,
Ward endlich der Geduld
Nach langen Jahren müde,
Und schaffte schnell und klug
Sich vor dem Engel Friede,
Der ihn mit Fäusten schlug.

Sein Weib war bitterböse,
Die Tobsucht rief aus ihr,
Bey manchem Zankgetöse:
Ein Leides thu ich mir!
Ja ja, du Weiberhasser,
Du Teufel, der du bist,
Ich springe noch ins Wasser,
Wo es am tiefsten ist.

Sie sprachs zu tausendmalen,
Und sprang ins Wasser nie.
Auf neue Männerqualen
Dacht ihre Seele früh,
Sobald der Tag erwachte.
Ihr Dämon, schwarz und klein,
Blies ihr im Traum bey Nachte
Den Stoff zum Zanken ein.

Einst fieng beym Abendtische
Ihr Zorn zu donnern an,
Und still, wie stumme Fische,
Blieb ihr geplagter Mann;
Ließ ihrer frechen Zunge
Den Zügel - gab ihr nach,
Bis sie vom Wassersprunge
Mit blauen Lefzen sprach.

Da warf der Mann sein Messer
Tief in den Tisch, und riß
Das Weib an ein Gewässer.
Hier, sprach er: Thue dieß
Was du zu thun beschlossen.
Hier springe mir hinab. -
Hier sah sie, furchtbegossen,
Ins grause Wassergrab.

Sie hieng an seinen Armen
Und fühlte Todesquaal;
Er aber, ohn Erbarmen,
Er tauchte siebenmal
Sie unter mit dem Kopfe,
Bis sie die Luft verlor:
Und hub sie drauf beym Zopfe
Stark aus der Fluth empor.

Das Mittel half geschwinde;
Sie seufzte leichenblaß:
Ach! Männchen, sey gelinde,
Ach! liebes Männchen, laß
Mich diesesmal nur leben,
Und ende meine Pein,
Ich will mich gern bestreben,
Recht lämmerfromm zu seyn.

Der Mann ließ sich bedingen,
Das Weib ward zahm gemacht,
Und an kein Wasserspringen
Ward künftig mehr gedacht.
Sie lebten, sanft wie Tauben,
Von keinem Zank gequält,
Und alle Welt wirds glauben
Weil es ein Weib erzählt.

Anna Louisa Karsch 1722-1791

Die schlimmste Frau

Die Weiber können nichts als plagen.
Der Satz sagt viel und ist nicht neu.
Doch, Freunde, könnt ihr mir nicht sagen,
Welch Weib das schlimmste sei?

Ein Weib, das mit dem Manne scherzet
Wie ein gebildter Marmorstein,
Das ohne Glut und Reiz ihn herzet,
Das kann kein gutes sein.

Ein Weib, das wie ein Drache geizet,
Und gegen Kind und Magd genau,
Den Dieb, mich zu bestehlen reizet,
O eine schlimme Frau!

Ein Weib, das gegen alle lachet,
In Liebesstreichen frech und schlau
Uns täglich neue Freunde machet,
O eine schlimmre Frau!

Ein Weib, das nichts als bet' und singet,
Und bei der Kinder Zeitvertreib
Mit Seufzen ihre Hände ringet,
O ein noch schlimmer Weib!

Ein Weib, das stolz aufs Eingebrachte,
(Und welche nimmt der Stolz nicht ein?)
Den Mann sich gern zum Sklaven machte,
Das muss ein Teufel sein!

Ein Weib, das ihrem Manne fluchet,
Wenn er Gesellschaft, Spiel und Wein,
Wie heimlich sie Liebhaber, suchet,
Das muss – – ein Weibsbild sein!

Gotthold Ephraim Lessing, 1729-1781

Man sagt, ein Schnäpschen, insofern
Es kräftig ist, hat jeder gern.
Ganz anders denkt das Volk der Bienen,
Der Süffel ist verhasst bei ihnen,
Sein Wohlgeruch thut ihnen weh.
Sie trinken nichts wie Blüthenthee,
Und wenn wer kommt, der Schnäpse trank,
Gleich ziehen sie den Stachel blank.
Letzthin hat einem Bienenstöckel
Der brave alte Schneider Böckel,
Der nicht mehr nüchtern in der That,
Aus Neubegierde sich genaht.
Sofort von einem regen Leben
Sieht Meister Böckel sich umgeben.
Es dringen giftgetränkte Pfeile
In seine nackten Körpertheile,
Ja manche selbst durch die nur lose
Und leichtgewirkte Sommerhose,
Besonders, weil sie stramm gespannt.
Zum Glück ist Böckel kriegsgewandt.
Er zieht sich kämpfend wie ein Held
Zurück in's hohe Erbsenfeld.
Hier hat er Zeit, an vielen Stellen
Des Leibes merklich anzuschwellen,
Und als er wiederum erscheint,
Erkennt ihn kaum sein bester Freund.
Natürlich, denn bei solchem Streit
Verliert man seine Aehnlichkeit.

Wilhelm Busch  1832 - 1908

Ein Blick ins Damenbad

Nicht all und jedes, meine Beste,
Ist reizend, was Ihr Kleid verhehlt.
Denn manches, was das Mieder preßte,
Wird schwabbelig, wenn dieses fehlt.

Ein hübscher Stiefel, schöne Strümpfe
Beschwindeln uns oft sonderbar.
Man sieht mit Schrecken, daß die Nymphe
Gespickt mit Hühneraugen war.

Ich spreche nicht von Hinterfronten,
Die, ungebührlich aufgebauscht,
Uns nur so lang bezaubern konnten,
Als schwere Seide sie umrauscht.

Das Nackte kann die Tugend stärken,
Und vieles reizt uns nur umflort.
Ich konnt' es durch die Wand bemerken,
Als ich ein Loch hineingebohrt.

Ludwig Thoma  1867-1921

Der Wundermann ...

In Völksen wohnt ein Wundermann,
Der jede Krankheit heilen kann:
Zahnweh und Friesel und den Mumps,
Die Schwindsucht und den Fuß des Klumps.

Er hat nicht Medizin studiert,
Hat nicht zum Doktor promoviert,
Mit einer Flasche Fliedertee
Kuriert er jedes Ach und Weh.

Kolik und Infaulentia,
Die Wassersucht, das Podagra,
Für Gallenstein, für Hüfteweh,
Für alles hilft der Fliedertee.

Das heißt, dem Wundermann hilft er,
bisher war seine Börse leer,
Jetzt ist stets voll sein Portemonnaie,
So sehr hilft dieser Fliedertee.

Für kalten Brand und dickes Blut
Ist Fliedertee vorzüglich gut,
Für Krätze, Krebs und auch für Gicht,
Bloß gegen Dummheit hilft er nicht.

Hermann Löns (1866 - 1914)

Von lokalen Schmerzen ...

Mich schmerzt da rechts ein Backenzahn;
Ich monologisiere:
Vorzüglich, dass ich momentan
Am linken Bein nichts spüre.

Mein linkes Bein scheint ganz gesund,
Ich kann es strecken, biegen,
Auch spür' ich keinen Muskelschwund,
Das nenn' ich ein Vergnügen.

Mein Zahn! Mein Zahn! Es ist zum Schrei'n!
Mir hilft des Frohsinns Gabe:
Wie gut, dass ich nicht obendrein
Noch Diphteritis habe.

Denn hätte ich die Diphterie,
So sag' ich mir als Denker,
Da wäre ich, begreifen Sie,
Doch noch bedeutend kränker.

Und hätt' ich gar noch Gallenstein,
So wahr ich Alex (Inge) heiße,
Da risse ich die Wände ein
Bei diesem Zahngereiße.

D'rum freue ich mich heut' spontan,
Ich sing' und jubiliere:
Wie schön, dass ich bloß einen Zahn, -
Au! au! au! au! - verspüre!


 Alexander Moszkowski 1851-1934

 Unterm Tisch

Es war ein Stückchen Fromage de brie,

Das fiel untern Tisch. Man sah nicht wie.

Dort standen zwei Lackschuh mit silbernen Schnallen.

Die fanden an dem Fromage Gefallen

Und traten nach einiger Überwindung

Mit ihm in ganz intime Verbindung.

Als abends die beiden Schnallengezierten

In einer feudalen Gesellschaft soupierten,

Erhoben sich plötzlich zwei andere Schuhe

Und knarrten verlegen und baten um Ruhe

Und sagten, als alles ruhig war:

»Verehrte, es – riecht hier so sonderbar.«

Joachim Ringelnatz 1883-1934



 


 



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