Neujahr bei Pastors

Mama schöpft aus dem Punschgefäße,
Der Vater lüftet das Gesäße
Und spricht: "Jetzt sind es vier Minuten
Nur mehr bis zwölfe, meine Guten.
Ich weiß, dass ihr mit mir empfindet,
Wie dieses alte Jahr entschwindet,
Und dass ihr Gott in seinen Werken
- Mama, den Punsch noch was verstärken! -
Und dass ihr Gott von Herzen danket,
Auch in der Liebe nimmer wanket,
Weil alles, was uns widerfahren
- Mama, nicht mit dem Arrak sparen! -
Weil, was geschah, und was geschehen,
Ob wir es freilich nicht verstehen,
Doch weise war, durch seine Gnade
- Mama, er schmeckt noch immer fade! -
In diesem Sinne meine Guten,
Es sind jetzt bloß mehr zwei Minuten,
In diesem gläubig frommen Sinne
- Gieß noch mal Rum in die Terrine! -
Wir bitten Gott, dass er uns helfe
Auch ferner - Wie? Es schlägt schon zwölfe?
Dann prosit! Prost an allen Tischen!
- Ich will den Punsch mal selber mischen."

Ludwig Thoma  1867-1921



Jahres-Ende

Du greises Jahr: du eilst, dem Ziele zu
Rascher und rascher, sehnst dich nach der Ruh
In einem tiefen grenzenlosen Tod.
Doch sieh: ich eile schneller, nach dem Rot
Des neuen Morgens gierig, dir voraus.
O komm! Hinübergeh! Lösch aus, lösch aus!
Gezeichnetes, Beladenes, befleckt
Mit großer Müdigkeit, mit Schmerz bedeckt -
Vergeh - ich werde! Stirb - und ich vermag
Aufzuerstehn: o neuer, reinster Tag!

Luise Weissmann 1821-1902)

Lasst uns gehen mit frischem Mute
in das Neue Jahr hinein!
Alt soll unsre Lieb' und Treue,
neu soll unsere Hoffnung sein

von Hoffmann von Fallersleben




Silvester

Was fange ich Silvester an?
Geh ich in Frack und meinen kessen
Blausanen Strümpfen zu dem Essen,
Das Herr Generaldirektor gibt?
Wo man heut nur beim Tanzen schiebt?
Die Hausfrau dehnt sich wild im Sessel -
Der Hausherr tut das sonst bei Dressel -,
Das junge Volk verdrückt sich bald.
Der Sekt ist warm. Der Kaffee kalt -
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?
Wälz ich mich im Familienschoße?
Erst gibt es Hecht mit süßer Sauce,
Dann gibt's Gelee. Dann gibt es Krach.
Der greise Männe selbst wird schwach.
Aufsteigen üble Knatschgerüche.
Der Hans knutscht Minna in der Küche.
Um zwölf steht Rührung auf derUhr
Die Bowle -? ("Leichter Mosel" nur - )
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?
Mach ich ins Amüsiervergnügen?
Drück ich mich in den Stadtbahnzügen?
Schrei ich in einer schwulen Bar:
"Huch, Schneeballblüte! Prost Neujahr -!"
Geh ich zur Firma Sklarz Geschwister -
Bleigießen? Ists ein Fladen klein:
Dies wird wohl Deutschlands Zukunft sein...
Prost Neujahr!
Helft mir armem Mann!
Was fang ich bloß Silvester an?
(Einladungen dankend verbeten.)

Kurt Tucholsky 1890-1935)



In der Neujahrsnacht

Die Kirchturmglocke
schlägt zwölfmal Bumm.
Das alte Jahr ist wieder mal um.
Die Menschen können sich in den Gassen
vor lauter Übermut gar nicht mehr fassen.
Sie singen und springen umher wie die Flöhe
und werfen die Mützen in die Höhe.
Der Schornsteinfegergeselle Schwerzlich
küsst Konditor Krause recht herzlich.
Der alte Gendarm brummt heute sogar
ein freundliches: Prosit zum neuen Jahr.

Ringelnatz 1883-1934)



Silvester

Wieder ist ein Jahr entschwunden;
Dass sein Scheiden uns nicht reue,
Herz, was retten wir hinüber
Aus dem alten in das neue?

Sprach mein Herz: „Wie magst du fragen?
Arm wär‘ ich, wenn mir nicht bliebe
Fester Glaube, frohes Hoffen
Und vor allem treue Liebe.“

Und ich rief: „Daran erkenn‘ ich,
Dass du klug und wohlerfahren;
Denn du sorgst mit weisem Rate
Uns die Jugend zu bewahren.

Und so wollen wir denn weiter,
Liebes Herz, zusammenhalten,
Und getrost im neuen Jahre
Gottes Gnade lassen walten.

Julius Sturm  1816-1896




Silvester

Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.
Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.
Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!
Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.

Joachim Ringelnatz, 1883-1934



Neujahrswunsch

Will das Glück nach seinem Sinn
dir was Gutes schenken,
sage Dank und nimm es hin
ohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,
doch vor allen Dingen:
Das, worum du dich bemühst,
möge dir gelingen.

Wilhelm Busch, 1832-1908



Zum neuen Jahr  

Zum neuen Jahr ein neues Herze,
ein frisches Blatt im Lebensbuch.
Die alte Schuld sei ausgestrichen
und ausgetilgt der alte Fluch.
Zum neuen Jahr ein neues Herze,
ein frisches Blatt im Lebensbuch!
Zum neuen Jahr ein neues Hoffen!
Die Erde wird noch immer wieder grün.
Auch dieser März bringt Lerchenlieder.
Auch dieser Mai bringt Rosen wieder.
Auch dieses Jahr läßt Freuden blühn.
Zum neuen Jahr ein neues Hoffen.
Die Erde wird noch immer grün.

Karl von Gerok, 1815-1890



Ein neues Buch, ein neues Jahr

Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?!
Wird's werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken.
Und nicht vergeht, wie die Flamm' im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.

Theodor Fontane, 1819-1898



Wünsche zum neuen Jahr

Ein bißchen mehr Friede und weniger Streit
Ein bißchen mehr Güte und weniger Neid
Ein bißchen mehr Liebe und weniger Hass
Ein bißchen mehr Wahrheit - das wäre was.
Statt so viel Unrast ein bißchen mehr Ruh
Statt immer nur Ich ein bißchen mehr Du
Statt Angst und Hemmung ein bißchen mehr Mut
Und Kraft zum Handeln - das wäre gut.
In Trübsal und Dunkel ein bißchen mehr Licht
Kein quälend Verlangen, ein bißchen Verzicht
Und viel mehr Blumen, solange es geht
Nicht erst an Gräbern - da blühn sie zu spät.
Ziel sei der Friede des Herzens
Besseres weiß ich nicht.

Peter Rosegger, 1843-1918



Silvesternacht

Und nun, wenn alle Uhren schlagen,
So haben wir uns was zu sagen,
Was feierlich und hoffnungsvoll
Die ernste Stunde weihen soll.
 
Zuerst ein Prosit in der Runde!
Ein helles, und aus frohem Munde!
Ward nicht erreicht ein jedes Ziel,
Wir leben doch, und das ist viel.
 
Noch einen Blick dem alten Jahre,
Dann legt es auf die Totenbahre!
Ein neues grünt im vollen Saft!
Ihm gelte unsre ganze Kraft!
 
Wir fragen nicht: Was wird es bringen?
Viel lieber wollen wir es zwingen,
Daß es mit uns nach vorne treibt,
Nicht rückwärts geht, nicht stehen bleibt.
 
 Nicht schwächlich, was sie bringt, zu tragen,
Die Zeit zu lenken, laßt uns wagen!
Dann hat es weiter nicht Gefahr.
In diesem Sinne: Prost Neujahr!

Ludwig Thoma  1867-1921


 

Silvester

Da sitzt der Weise tief im Sessel
und braut sich einen Schlummerpunsch.
Die Nase glüht – es summt im Kessel –
und nachbedenklich hängt sein Flunsch.
Sieh da, Mamachen! Hoch geschäftig
eilt diese Gute hin und her.
Sie kocht und gießt und klappert heftig
und fragt mich schließlich, was es wär.

Denn schau: sie hat sich Blei geschmolzen,
es zischt, es plumpst – sie bringt es an.
Was ist das? Seh ich einen stolzen
Monarchenthron? mit Bommeln dran?

Ist das die Republikenmütze?
Ein Tirpitzbart? Ein voller Sack?
Ein Säbel, welcher zu nichts nütze,
und den man nicht mehr sehen mag?

Das alles wälz ich durchs Gemüte.
„Na, Theobald? wem sieht das gleich?“
so drängt mich meines Lebens Blüte.
Ich weiß doch nicht … das Blei ist weich …
Das soll es nicht. Es mag erstarren!
Seid hart, wie jener Landgraf war!
Umtost von Junkern und von Narren,
nur Männer ziehen unsern Karren –!
 In diesem Sinne:Prosit Neujahr!

Theobald Tiger  1890-1935


 

Dem Jugendboten am Sylvesterabend

Potz Tausend! siehst du lustig aus!
Bist wohl ein recht fideles Haus?
Was doch die liebe Jugend tut!
Du hebst den Stock und schwenkst den Hut
Und jubelst in die Welt hinein,
Als wollt'st du sagen: alles mein!

Ich merk's schon an dem langen Haar'
Und an dem hohen Stulpenpaar',
Auch an dem Rock' und an dem Bart',
Das ist so recht Studentenart;
Bist wohl ein Bruder Studio,
Vor Jahren war ich's auch mal so.

Nun trag' ich längst die Zipfelmütz',
Und wenn ich so im Lehnstuhl sitz'
Mit Schlafrock und Pampuschen an,
Dann bin ich schon ein alter Mann;
Doch kommt einmal ein Studios,
Gleich wird das Herz mir wieder groß!

O, komm' herein, so wie du bist!
Und weil es just Sylvester ist,
So gönn' dir eine kurze Rast
Und setz' dich nieder, sei mein Gast;
Ich schenk' dir ein vom besten Wein,
Sollst herzlich mir willkommen sein!

Willst also auf die Reise geh'n
Und dir einmal die Welt beseh'n?
Was sagte denn der Herr Papa?
Wie weinte wohl die Frau Mama!
Ich weiß es noch von damals her,
Es wird den Eltern oft recht schwer.

Zuerst die Sorge früh und spät,
Wie's wohl dem lieben Söhnlein geht?
Ob er gesund und munter ist?
Ob er die Tugend nicht vergißt?
Da draußen sind der Wege viel',
Doch nur der rechte führt ans Ziel.

Und dann, – du weißt wohl auch Bescheid,
Was kostet nicht ein neues Kleid;
Und was erst recht das Reisen nicht;
Sieh, jeder blanke Taler spricht:
Es hat Papa mit Müh' und Fleiß
Für mich gegeben seinen Schweiß.

Nun? – wird dir schon das Auge naß?
Das wollt' ich nicht, – doch freut mich das!
So weiß ich ja, du hast Gemüt,
Und daß dir Lieb' im Herzen glüht.
Nun nimmst du mir's wohl auch nicht krumm,
Wenn ich dir gleich noch näher komm'.

Als ich den Ränzel einst geschnürt,
Hat mich der Vater instruiert;
Der war so recht ein braver Mann
Und sagte dazumal: Johann,
Sieh, willst du wohlgelitten sein,
So merk' dir, was ich sage, fein!

Vor allen Dingen nimm, mein Kind,
Dich ja in acht vor jeder Sünd',
Und hast du mal getan nicht recht,
So sage gleich: Pfui! das war schlecht!
Und mach' es zehnmal wieder gut,
So oft dir weh die Reue tut.

In Demut knie' vor Gott, dem Herrn,
Nie habe Furcht, – doch Ehrfurcht gern.
Sei stets ein Feind der Heuchelei
Und forsche, wo die Wahrheit sei,
Weil doch zuletzt nur sie allein
Das Rechte wird von allem sein.

Auch achte nie das kleinste Ding,
Was Gott erschaffen hat, gering;
Verstehst du's nur mit rechtem Sinn,
Liegt Zweck und Poesie darin,
Und alles trägt in der Natur
Von Gottes Weisheit eine Spur.

Bald bieten viele dir die Hand,
Die Meisten sind dir unbekannt;
Dann mußt du dich darauf versteh'n,
Ins Aug' und in das Herz zu seh'n
In deiner Wahl sei ohne Scheu,
Den Weizen nimm und laß die Spreu.

Bewahre stets den frohen Mut,
Der oft so not im Leben tut;
Verlier' auch nie den frischen Sinn,
Sieh, beide bringen viel Gewinn;
Mit beiden bist du wohl bestellt
Und kommst am weit'sten in der Welt.

Auch hübsch bescheiden allezeit!
Bescheidenheit ein schönes Kleid!
Man nimmt sich ein Exempel dran
Und sagt: Der war ein netter Mann,
Und sieht er wieder bei uns ein,
So soll er uns willkommen sein.

Sieh, damit ging ich wohlgemut,
Und wo ich kam, da ging's mir gut.
Das sagte einst der Vater mir,
Und darum sagt' ich's wieder dir;
Der alte Mann, so lieb und brav,
Er schläft schon längst den ew'gen Schlaf.

Nun? – wird auch mir das Auge naß? –
Das wollt' ich nicht, – komm mit dem Glas!
Wir sind ja in der Neujahrsnacht,
Ein lustig Hoch sei dir gebracht!
Rein aus! rein aus den Rebensaft!
Viel Glück auf deiner Wanderschaft!

Johann Meyer  1886-1923

Ein neues Jahr tritt froh herein,
mit aller Welt in Frieden;
vergiss wieviel der Plag und Pein
das alte Jahr beschieden!
Du lebst: sei dankbar, froh und klug,
und wenn drei bösen Tagen
ein guter folgt, sei stark genug,
sie alle vier zu tragen.

Friedrich Wilhelm Weber 1813-1894

Zum neuen Jahr

Zwischen dem Alten,
Zwischen dem Neuen
Hier uns zu freuen
Schenkt uns das Glück,
Und das Vergangne
Heißt mit Vertrauen
Vorwärts zu schauen,
Schauen zurück.

Stunden der Plage,
Leider, sie scheiden
Treue von Leiden,
Liebe von Lust;
Bessere Tage
Sammeln uns wieder,
Heitere Lieder
Stärken die Brust.

Leiden und Freuden,
Jener verschwundnen,
Sind die Verbundnen
Fröhlich gedenk.
O des Geschickes
Seltsamer Windung!
Alte Verbindung,
Neues Geschenk!

Dankt es dem regen
Wogenden Glücke,
Dankt dem Geschicke
Männiglich Gut!
Freut euch des Wechsels
Heiterer Triebe,
Offener Liebe,
Heimlicher Glut!

Andere schauen
Deckende Falten
Über dem Alten
Traurig und scheu;
Aber uns leuchtet
Freundliche Treue;
Sehet, das Neue
Findet uns neu.

So wie im Tanze
Bald sich verschwindet,
Wieder sich findet
Liebendes Paar;
So durch des Lebens
Wirrende Beugung
Führe die Neigung
Uns in das Jahr.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)



 



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